Hanny Siersema

»Nur mir selbst gegenüber«

3. Mai 2001 - 14. Juni 2001 / MO. BIS FR. 8 - 17 UHR

Künstlerin

Hanny Siersema 

Zur Ausstellung

Die Gestaltung von Emotionen, darum geht es mir. Angeregt durch ein Erlebnis, eine Empfindung, eine Reise (Indien), einen Traum, einen Gegenstand (Stühle) oder eine bestimmte Form male ich intuitiv, assoziierend, im Dialog mit Bild, Material und Inhalt.

Im Abenteuer des Malvorganges steckt die Intensität; die Handlung, die Entscheidungen, kurzum der Dialog. Der Dialog ist der Prozess des expressiven, abstrakten oder figurativen Übersetzens eines Themas. Ich strebe nach einer intuitiven, spontanen und ursprünglichen Gestaltung der Themen. In direkter Expression oder mehr konstruktiv: eine Schicht über die andere, pur, nicht verschönert, sondern ganz pur.

Manchmal arbeite ich ein Thema in einer Serie aus, manchmal in einem einzigen, aus vielen Arbeitschichten bestehenden, durchlebten Gemälde. Die Wahl des Formats hat für mich eine große Bedeutung. Ich arbeite in schwarz-weiß oder Farbe oder auch in einer reduzierten Farbgebung, indem eine einzige Farbe in ihren verschieden Abstufungen verwendet wird.

In der Ausführung arbeite ich sowohl abstrakt als auch figurativ. Nur mir selbst gegenüber.

 

Einführung in die Ausstellung von Hanny Siersema

(gekürzte Fassung der Eröffnungsrede vom 3.5.01)

"Nur mir selbst gegenüber" ist das Thema, das die Künstlerin Hanny Siersema dieser Ausstellung gegeben hat. Diese Worte stammen aus einem Tagebuch von Franz Kafka, der am 1. Juli 1913 notierte: "Nur mir gegenüber gestellt sein". In seiner Kürze fasst dieser Satz seine mutige und äußerst persönliche Auseinandersetzung mit sich selbst zusammen. Einige weitere Notizen aus seinem Tagebuch drücken diesen Prozess noch deutlicher aus. "Der Sinn für die Darstellung meines traumhaften inneren Lebens hat alles andere ins Nebensächliche gerückt." Alle anderen Eindrücke sind verdrängt und sind auch täglich einem kontinuierlichem Verdrängungsprozess ausgesetzt. Aber, skizziert er weiter, "die Einbildungskraft ist vollkommen unberechenbar." Kafkas Identifikation mit seiner Kunst geht so weit, dass er in einem Brief an seine Geliebte Felice Bauer schreibt: "Es ist möglich, dass meine ganze Schreiberei nichts ist, aber dann ist es auch vollkommen und ohne Zweifel, so dass auch ich in meiner Gesamtheit nicht bin."

Was hier erkennbar wird, ist der Künstler als schaffender und zweifelnder Mensch, im permanenten Dialog mit sich selbst, aber im Besonderen mit den Dingen, die noch entstehen. Beispiele für solche Dialoge gibt es auch in der Malerei. So sagt der bekannte US-amerikanische Maler Marc Rothko "Die Spannung von und in sich selbst. Nur sich selbst gegenüber stehen. Dies ist eine Erfahrung, die Dein Leben bereichert." In seinem Spätwerk suchte Rothko nach einer elementaren Wiedergabe. Dies verbindet ihn mit abstrakt-expressionistischen Arbeiten. Die mögliche Schöpfung einer zeitlosen Kunst als Basismotivation ist das Analogum zum solitären Dialog.

Die Gabe, zufällig wertvolle Dinge zu entdecken oder zu schaffen, besitzt jeder von uns. So kennen wir alle den Prozess des Abschweifens, sitzend in einer Gesprächsrunde, Papier und Stift zu Händen, malen und verschönern wir so manche Vorlage. Um ehrlich zu sein, steht der künstlerisch schöpferische Prozess den meisten von uns dabei nicht vor Augen. Trotzdem: Während wir denken und sprechen, führt unsere Hand ein Eigenleben und setzt - zumindestens ist das unser Eindruck - unkontrolliert Bewegungen in Form um. Durch diesen und in diesem Prozess kann der unbewusst zeichnende Mensch seine intimsten Gedanken offen legen. Es sind Schriftbilder, oft sparsam, meist undeutlich, wild scheinend; Symbole, Motive (manchmal erotisch), aber auch Buchstaben und Zahlen. Rein zufällig, aber doch veranlasst durch unser Unterbewusstsein, schaffen wir die schönsten Dinge.

Der 1929 in den USA geborene Maler und Zeichner Cy Twombly hat seine Arbeiten stark basiert auf derartige augenscheinlich, zufällige Skizzen und Strukturen. Er entwickelte im wahrsten Sinne des Wortes seine eigene Handschrift, eine bis zur elementaren Form stilisierte und reduzierte Schrift. Twombly greift in seinem Werk auf Bildmittel zurück, die den sogenannten "Urformen" verwandt sind, die als ursprüngliche Ausdruckmittel die Welt der Imagination, Fantasie und Träume öffnen.

Intuitive Skizzen und zufällig entstandene Strukturen, die eine Geschichte in sich tragen, sehen wir auch in den Arbeiten von Hanny. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass bei ihr noch mehr dazu kommt: Tagebuchnotizen, Briefe und Träume werden Bestandteil ihrer Arbeiten. Von diesen elementaren täglichen, persönlichen, intimen Erlebnissen geht ihre Suche nach Symbolen und Bildern aus. Briefe schreibend läßt sie Bilder entstehen!

Es ist durchaus möglich, dass unter den vielfältigen Farbschichten aller hier ausgestellten Bilder so mancher Brief als Grundlage der Komposition liegt. Bei Hanny ist es oft die Arbeit, die unter der Arbeit sitzt, die das Bild kräftig und schön werden lässt. Diese Spannung gibt ihren Bildern Dramatik, Tragik und Faszination: Die Arbeiten im Grund flüstern noch nach, so wie Gebete, die dem Wind anvertraut werden…

Betrachten Sie bitte gleich die Bilder - zum Beispiel die Serie mit den Stühlen. (Besonders das Gemälde, das hier die Nummer 1 erhalten hat). Die Stühle selbst scheinen ziellos plaziert. Doch sie suggerieren in ihrer Nacktheit eine instinktive Selbstbezogenheit. Es ist eine Ansammlung von Stühlen, die im elterlichen Haus nach dem Tod beider Eltern zurückgeblieben ist. Eine Ansammlung von Urteilen, aber auch von Verbundenheit, erzeugt durch den Tisch in einem imaginär erzeugten Zimmer. Dieses Zimmer selbst ist aufgenommen in den Raum, den Zeitraum, der so schnell vorbeizufliegen scheint, dass er irreal erscheint. Aber auf den Wänden steht Geschichte, geschrieben, gekratzt in Zeichen. Dieses Gemälde ist sozusagen eine Metapher für das momentane Urteil, für Verbundenheit und den Fortgang.

Gehen wir weiter und betrachten wir die Nummer 14 bei den Porträts. Weiss und Schwarz sind die Analogien für Licht und Dunkel. Licht und Dunkel erhalten Inhalt und Volumen. Schwarz-Weiss, ergänzt mit Rot-Blau, Lila-Grau. Im Laufe der Zeit, in der wir das Bild auf uns einwirken lassen, erscheint uns nicht nur eine Geschichte in Schwarz-Weiss. Es wird eine Geschichte sein, an die wir, schlicht gesagt, lieber nicht erinnert werden wollen, nämlich die Geschichte von unseren persönlichen dunklen und freundlichen Seite. (Beim gemeinsamen Besuch einer Ausstellung im Groninger Museum lasen wir, Hanny und ich, eine Erklärung des Künstlers als Fussnote zu einem Bild: "…unterwegs malend, bin ich erfüllt von einem glücklichen Gefühl. Die Wechselwirkung zwischen Verstand und Fantasie gibt meinem Werk die Richtung." Ich fragte: "Erfüllung durch Etwas ist immer vorhanden, aber ist es auch immer eine glückliche Erfüllung?" Nein, war die Antwort. Manchmal ist es auch ein Schimmer von diesem Anderen, der anderen größeren Wirklichkeit.)

Wir sehen das auch beim anderen Porträtgemälde, wobei hier der sparsame Gebrauch von Schwarz und Weiss auffällt. Manchmal betrachtet man durch die ersten Farben Räume, die auf den ersten Blick nichts mit dem Porträt, dem Kopf, dem Gemälde zu tun haben. Was wir sehen, ist weiter, tiefer als das Porträt und die ersten Farben, die auffallen. Auch der Tiefgang kennt Schattierungen. Auch der Tiefgang kennt Unterschied.

Aber betrachten Sie bitte auch die prächtige Serie von Bildern in der Hanny Siersema ihre Eindrücke einer Indienreise transformiert hat. Varanasi und Mutter Ganges. Varanasi ist die heilige Stadt am Ganges, dem Fluss, dem Urstrom, dem die Leichen der Verstorbenen anvertraut werden. Leichnam oder Asche gehen im und mit dem Wasser auf Reisen. Dies ist eine endgültige Metapher: Wir sind stetig unterwegs.

Hermann Hesse sagt:"Kunst ist eine feine sensible Haut zwischen uns und dem Herzen der Welt." Und das scheint mir ein beziehungsreicher Kommentar zu den Arbeiten von Hanny Siersema zu sein: In seiner Kunst ist der schaffende Künstler einzigartig. Entfremdet von Allem, bis auf sich selbst. Kunst scheint der Platz zu sein auf dem sich der Künstler bewegen kann und gleichzeitig sich selbst beobachtet sieht. Aber auch der Betrachter wird angesprochen. Das Gewissen regt sich. Fragen entstehen, so wie die ewig wiederkehrende Seinsberechtigung.

Ich möchte Sie mit einer ganz plakativen Bitte der Ausstellung überlassen. Betrachten Sie die Bilder, schauen Sie, lassen Sie sich überraschen, erkennen Sie ganz persönliche Zeichen wieder. Wir sind Teil des Ganzen und doch haben wir allein uns selbst!

Aonne de Jong, Groningen

Vita

  • 1958 in Groningen geboren
  • 1981-1986 Grafik und Malereistudium an der Kunsthochschule Minerva in Groningen
    Sie lehrt am Kunstencentrum Groningen und als freiberufliche Dozentin