Anne Dück-von Essen

»Zeichen«

27. Mai 1999 - 8. Juli 1999 / MO. BIS FR. 8 - 17 UHR

Künstlerin

Das Werk Anne Dück-von Essens begegnet uns in einer großen Vielfalt verschiedener Gestaltungsmittel und Techniken. Durch diese Vielfalt hindurch vermittelt sich dem Betrachter aber doch ein deutlicher Eindruck der inneren Verwandtschaft aller ihrer Bilder. Immer haben wir es mit Strukturen zu tun und befinden uns damit jenseits jeder realistischen oder figürlichen Darstellung. Wie diese Strukturen erarbeitet werden, ist jeweils verschieden: es ergibt sich aus einem langen Arbeits- und Experimentierprozess mit den jeweiligen Materialien.

Dabei erfahren die Bilder ihre Strukturierung im wesentlichen auf dreifache Weise. Wir haben einmal die Gestaltung eines ,,Lichtraums", erarbeitet durch feine und reinste Übergänge in Farbtönen und Helligkeitswerten. Es entsteht ein starker Eindruck von Transparenz. In leichten Abtönungen zwischen den Polen von Hell und Dunkel, Warm und Kalt scheinen die Farben zu schweben, aufgelöst in die "Körperlichkeit" des Lichts. Es entsteht Atmosphäre, aber vor allem Raum, nicht abgezirkelt und begrenzt, sondern dynamisch sich ausweitend von oft großer Tiefe. Zu diesem Raum werden grafische Elemente in Beziehung gesetzt, hier gekratzt, dort aufgesetzt, dort gespachtelt, diese von starker körperlicher Struktur, andere reduziert bis zu zartesten Spuren und Punkten. Alle aber geben durch ihre Anordnung und Bewegung dem Bild seine Dynamik, die den Eindruck des Raums weiter verstärkt, den der Untergrund feiner Abstufungen bereits gelegt hatte. Als drittes treten schließlich Collageelemente hinzu. Die Spannung, die sie auf der Bildfläche erzeugen, wird zur Provokation, sie einerseits in die Gesamtstruktur zu integrieren, sie aber andererseits so in ihrer Besonderheit zu belassen, dass das Bild durch sie neue Akzente erhält.

Wenden wir uns den Ölkreiden zu. Hier zeigt sich das Ergebnis der intensiven experimentellen Arbeit mit dem Material. In den feinkörnigen Hintergründen ist die Kreide Schicht für Schicht verrieben, so dass sie zugleich ein Spektrum feinster Farbschattierungen ergibt. Mit ihren Licht- und Dunkelwerten, kühleren und wärmeren Tönungen lassen sie einen räumlichen Tiefeneindruck entstehen, leuchtet Licht auf aus der Tiefe; die Materialität der Farbe wird zunehmend überwunden. Auf diesen Raum-Hintergrund bezieht sich nun, in ihn hineingelegt, mit ihm verwoben, das Gestaltungsmittel der Strukturen, variantenreich eingesetzt.

Durch virtuos gehandhabte Spachteltechnik entsteht beispielsweise im Bild Metamorphose ein perspektivisch gesehener Kreis, eine Ellipse - ein Tanz außerordentlich körperlich wirkender, zugleich durchscheinender, bandartiger Strukturen. Indem die elliptische Grundform durch den Bildrand abgeschnitten wird, entsteht die Illusion weitreichender Räume und Bewegungen. Dennoch ist das Bild in seiner Komposition geschlossen.

In der Ölkreidearbeit "Landschaft 1990" sehen wir eine weitgehende Reduktion der grafischen Elemente. Struktur deutet sich gerade noch an, Raum tut sich auf - man fühlt sich an japanische Arbeiten erinnert -, die meditative Erfahrung einer Einheit, in der die Vielfalt versinkt, um sodann aus der Erfahrung der Einheit neu begriffen zu werden. Mit J. E. Berendt zu sprechen: Klang wird Stille und Stille wird Klang.

Assoziationen zu kosmischen Phänomenen und Ereignissen wecken die Acrylbilder. Man mag an Sternennebel oder Milchstraßen denken. Dort wo eine - wie immer getönte - braune Farbfläche dem Spektrum verschiedenster Blautöne bis hin wie-der zu Braun und schließlich Schwarz gegenübersteht, liegt der Gedanke an die Erdoberfläche nahe, die sich gegen das Blau der Atmosphäre vor dem Dunkel des Alls abhebt. Eruptive Strukturen zentrieren ein Bild, wobei sie Collageteile einbeziehen, wie Meteoriten vielleicht zwischen Himmel und Erde. Gewitter energetischer Linien, feiner und feinster Strukturen dunkel oder heil sich gegen Tiefen abhebend, oder im Farbnebel fast verschwimmende Collagepartikel, ein winziges Dreieck klar aufleuchtenden Blaus, provokativ die Signatur collagierten Notenpapiers, Hinweis auf die Klangstruktur des Alls, und damit auf Harmonie als der Grundstruktur dieses vibrierenden Kosmos.

Ich sprach von der Assoziation eines Spiralnebels in der Tiefe bewegten Raumes - das sind kosmische Dimensionen. Doch lässt sich das, was unser Auge als Struktur in der räumlichen Dimension des Lichts wahrnimmt, nicht ebenso denken als akustische Struktur, die Harmonie von Farbe und Form nicht auch als Harmonie des Zusammenklangs im ursprünglichen Sinn des Wortes? Dies haben schon die Pythagoräer getan, und zwar über die Mathematik. Sie präzisierten den griechischen Begriff für das All: Kosmos, zu deutsch Schmuck, indem sie die Bahnen der Planeten in ihren gegenseitigen Bezügen mathematisch zu bestimmen und dabei zugleich als Klangstruktur zu verstehen suchten. Die Harmonie als die geordnete Struktur des Kosmos offenbarte sich so als die Harmonie eines umfassenden Zusammenklangs. Diese alte, im Laufe der Geschichte immer wieder aufgegriftene Theorie hat in letzter Zeit Joachim Ernst Berendt weitergeführt, indem er versucht, grundlegende Klangstrukturen der Musik im Makrokosmos wie im Mikrokosmos, in der Welt des Organischen wie des Psychisch-Geistigen als durchgehend aufzuweisen.

Was Anne Dück-von Essen wie Berendt fasziniert, ist die Idee der Einheit des gesamten Kosmos für universale Strukturen. Dabei liegt die Bedeutung nicht nur in dem metaphysischen Reiz, der Befriedigung, die die Welt als Einheit zu verstehen dem menschlichen Geist verschafft. Sie hat vielmehr in nuce für die heutige Welt weitreichende Konsequenzen, insofern nicht nur Denken, Erfahren und Handeln oft unerträglich auseinanderfallen, sondern auch die verschiedenen Bereiche von Wissenschaft und Moral, Kunst und Politik weitgehend voneinander isoliert und in dieser Isolation unfähig erscheinen, Zerstörungen zu stoppen und zu überwinden, die eben die abstrahierte und segmentierte Ratio, fasziniert von ihrer eigenen Potenz, hervorgebracht hat. Dem Eingebundensein in die Harmonie des Kosmos als trostspendendem Aspekt steht für Anne Dück-von Essen als anderer Pol der menschlichen Existenz seine immer wieder neue und individuelle Erfahrung des Ausgegrenztseins gegenüber.

Dr. Hildegard Ellermeier
Text aus der Eröffnungsrede in der Burg Kniphausen 1993

Vita

  • 1944 in Recklinghausen geboren
  • 1967-68 Werkkurse Dreibergen
  • 1968-73 Pädagogische Hochschule Oldenburg
  • 1979-82 Universität Oldenburg
  • Seit 1976 zeigt sie ihre Bilder und Objektkästen in Einzel- und Gruppenaussteiiungen
  • 1989 Förderpreis der Kunsthalle Wilhermshaven
  • Lebt und arbeitet in Bockhorn