Elke Graalfs

»Neue Maschen«

8. März 2001 - 19. April 2001 / MO. BIS FR. 8 - 17 UHR

Künstlerin

Elke Graalfs Zur Ausstellung - NEUE MASCHEN

Noch rote Farbe übrig .... so ein schönes Rot ...... wohin damit?
An den rechten Fleck ................ein roter Fleck am rechten Fleck ...........wie das Herz.
Schon ist es entschieden: der rote Klecks kommt auf die weiße Bluse....

Elke Graalfs scheint ihre Bilder weniger zu komponieren als mit ihnen zu kommunizieren. Ausgangspunkt für ihre malerischen Anlässe sind dabei stets Empfindungen, erlebte Ereignisse. Im weiteren Malprozess werden diese Erlebnisanlässe oft nicht mehr wichtig, und auch in der Anschauung nicht unbedingt nach vollziehbar, dennoch haben sie sich als Stimmung im Bild niedergesetzt. So breit die emotionale Skala ist, so vielfältig sind ihre Ausdrucksweisen. Ich möchte damit gleich zu Anfang eine Abeitsweise der Künstlerin andeuten, die in assoziativen Sprüngen ihrem Gedächtnis verstrickte Areale entlockt...

Elke Graalfs' künstlerische Laufbahn begann in Oldenburg mit lehrenden und prägenden Einflüssen von Doris Garduhn und Klaus Beilstein als Dozenten der Universität. An der Hochschule für Künste in Bremen seit 1994, waren die Professoren Rolf Thiele, Katharina Grosse und schließlich Prof. Karin Kneffel wichtig für sie, bei der sie nun ihr Meisterschülerjahr abgeschlossen hat.

Ihre letzte Ausstellung "Delikates" im Institut in Berlin, könnte man am besten als projektorientierte Performance-Ausstellung bezeichnen, wo eine Woche lang ständige Veränderungen an Bild und Raum ihre Kunst zum Erlebnis machten. Diese Präsentationsform entspricht auch ihrer Arbeitsweise. Für ihre Malerei wünscht sie sich langfristig auch mehr künstlerische Zusammenarbeit. Die Bilder‚ Concorde' (17) und ‚Möhre'(22) sind z. B. Gemeinschaftsarbeiten mit Benjamin Blanke.

In der Kunst ist es schon längst geläufig, verschiedene Bildwelten - in Ausdruck und Aussage - nebeneinander anzuordnen, so dass eine schnelle und eindeutige Orientierung nicht möglich ist und so einer facettenreichen Ästhetik Raum gewährt wird.

Ebenso selbstverständlich wie der Aspekt der Negation zur Kunst gehört, verweigert sich auch mehr oder weniger eine eindeutige Lesbarkeit. Wir sind tagtäglich mit einem Übermaß an Informationen konfrontiert, die Zersplitterung des Weltwissens, eines Wissens das in unendliche Pixel zerfällt, sich ständig umwandelt und in neue Aussagen zusammenfließt. Die Frage ist: Wie kann man sich durch die Datenfluten hindurchmanövrieren, eine Methode finden, mit dem Info-Overkill umzugehen, Auswahlen zu treffen?

Elke Graalfs spielt teilweise mit den schnellen Reizen, den ausgelösten Augenblicks-Bildern, um sich malend damit aufzuhalten. Zu ihrem vielfältigen Bildwortschatz gehören - in ihren kleinformatigen neueren Malereien - diese narrative Elemente. Es sind aufgeschnappte Informationen, Nachrichten, die die Künstlerin berührten, Dialoge, die sie malerisch umsetzt und ihrem, wie sie sagt, Bedürfnis nach schneller Aussage entsprechen, wo über den Schock oder den Witz Reflexion erreicht wird. Fast blitzartig und durchweg humorvoll bis grotesk verschmilzen Bildzeichen, die Gewohntes augenblicklich ins neue Licht tauchen. Diese immer wieder kurz auftauchenden, narrativen Elemente, anekdotisch und symbolisch - mit eingegrenzter Aussage, sind eine Seite ihrer Arbeit....

Auf der anderen Seite sind die Bilder, die einen beredten, direkten Durchblick verweigern, deren Aussagen sich mitunter ins Unendliche verlängern lassen. Pixelhaft setzen sich in Graalfs Bildern wollene Maschen zu einem Bildgewebe zusammen. Die großformatigen gemalten Strickbilder eröffnen ein Refugium der Konzentration und verbergen gleichzeitig ein umhülltes "Dahinter" oder "Darinnen". Ein illusionäres Maschengespinst aus Mustern und Farben, den häuslichen Mußestunden entlehnt, behauptet nun ein Eigenleben, das über sich hinaus weist. Das Auge kann den schrill-bunten Fadenreihen nachfahren oder in einer monochrom-meditativ anmutenden anthrazit-dunklen Handarbeit versinken - es ist das Spiel zwischen der Freude am Detail und dessen Ausflösung, die rhythmische Wiederholung bis ins Unendliche.

Auf eine Datenflut wird hier mit einem Gewebemeer geantwortet. Viel Zeit spricht aus den Bildern. Der Künstler Roman Opalka sagte einmal:"Geduld im Leben muss sich vermehren. Wir tun immer so, als hätten wir keine Zeit. Wir haben Maschinen, haben Computer. Eigentlich ist das alles dazu da, Zeit zu sparen. Zeit zu haben heißt aber, gar nichts tun. Nichts zu machen, ist in meinen Augen gleich bedeutend mit, endlich etwas zu machen."
Zeit ist wie ein Spaziergang, wobei man sich nicht auf die Schritte konzentrieren muss. Wer spazieren geht, denkt nicht daran, wie er die Füsse setzt. Er setzt sie."

So setzt Elke Graalfs ihre öligen Maschenfüsschen, eines vor das andere, als ginge sie im Nichts spazieren. Ihre Maschen wirken täuschend echt. Das Gewebe verwehrt einen direkten Blick - es bietet auch bergenden Schutz. Die Bilder können uns daran erinnern, dass es schutzbedürftige Gebiete gibt, oder Gebiete, die der Anschauung nicht zugänglich sind, bzw. sogar im Verborgenen bleiben sollten...? Sie können uns auch daran denken lassen, dass es kein "unverstricktes", Sehen gibt. Fast besessen bestrickt die Künstlerin alles was ihr unter den Pinsel kommt: so gibt es bereits Graalfs'sche Wand-Strickbilder.

Sie strickt, und es entsteht ein Etwas - oder ein Nichts - oder auch Landschaftliches... Die in Carolinensiel Geborene ist als Ostfriesin mit dem Meer sehr stark verbunden, so findet sich sogar ein gestricktes See-Stück (6), allerdings aus unkonventioneller Sicht: Nicht der Ausblick auf horizontale Weite, sondern auf den blickversperrenden Deich. Auch hier: Es gibt nicht mehr den Überblick: man kann sich verlieren im Detail - das ja - im bewegten lebendigen plätschern der einzelnen Wellen! 

Doch: Schnellstricker wissen, dass nicht nur Muße, Geduld und Zeit mit dem Handwerk verknüpft sind: das aufgeregte Füllen der Zeit mit handelnder Aktivität in hektischer Schnelligkeit, spricht auch von Ungeduld und Zeitüberbrückung. Rasend können grün gestrickte Fadenreihen übers Bild laufen, als säße man im fahrenden Zug und blickte durchs Fenster, auf die vorbeirauschende, sich auflösende Landschaft (7). Zeitvergessen sein im Stricken... und schließlich Gestricktes als materialisierte Zeit. (Eine Besonderheit gehört übrigens zu dem Bild ‚Zugfahrt'(7): man kann darüber staunen, wie viel verschiedene Grüntöne es aus der Tube gibt!)

Die wollenen Abstraktionen könnten gleichsam als Metapher für die Arbeitsweise von Elke Graalfs insgesamt gesehen werden. Masche für Masche. Jede Masche - ein Moment - angehaltene Momente, die sie variiert, wiederholt, sozusagen "durchdekliniert" in Farbe und Form - bis das Vertraute fremd wird und neue Assoziationen entstehen - dabei eine fixierte Zeitgrenze überschreitend. Ein rhythmisches Spiel mit Unendlichkeit, aber dann auch wieder mit konkreter Stofflichkeit.

Bestrickt und entrückt wird ein Frauenbildnis (12), bei dem ursprünglich die Spitzenbluse besondere malerische Beachtung fand. Elke Graalfs hat das Portrait mit Maschen übermalt. Die stoffliche Qualität erscheint jetzt eher grob, gleichförmig, schematisch: wie ein Raster. Man erahnt die Figur nicht hinter einer Wollschicht, vielmehr fällt beides in Eins. Die Figur selbst ist das Gewebe (schlau eingefädelt). Die filigrane, feinste Spitzentransparenz erhält sich jedoch in einem weiteren Bild. Als sei der Ärmel der Spitzenbluse herausgelöst, wird diese Faser gesondert wertgeschätzt. So untersucht und verwandelt Elke Graalfs malend Stoffe: edel, grob, fein, transparent ...
Das Gewebe, Maschengewebe, Spitzengewebe kann schließlich zum Hautgewebe führen, wenn die Künstlerin auf mustergedruckte Leinwand eingeht und sie z.B. in ein Schuppengeflecht verwandelt. (24)

Verwandlungsprozesse interessieren die Künstlerin nicht nur als übergeordnetes Thema - auch zeigt sich ganz konkret die Lust an der Verwandlung und Veränderung in ihren Schminkbildern. Sie liebt es, Gesichter zu verändern - schminkt sich und v.a. andere gern. Geht es darum, das "Wahre" einer Persönlichkeit dadurch hervorzuholen .... oder auch zu verbergen.... oder vielmehr mit Identitäten als konstruierte zu spielen? Was ist wirklich, was unwirklich, was künstlich, was natürlich? Vielleicht sollte man alles augenzwinkernd betrachten: Augenzwinkern mit aufmontierten Wimpern.

Elke Graalfs zeigt auch hier ihren Humor, wenn sie an ihren kleinen Portrait-Fotokopien (ob Tier oder Mensch) minimale Eingriffe vornimmt, die im Nu Ausdruck und Aussage verändern: sie klebt Wimpern auf.
Ein ‚Haupt-Augenmerk-Mal': die Wimpern. Wimpern sozusagen als Filterinstrument der Wahrnehmung. In ihrem Pixelportrait (1) wie auch in dem der Farbigen (9) umkränzt sie die Augen mit Besenborsten.
Wimpern halten Staub auf und ermöglichen so einen klaren Blick, können jedoch auch den Blick verschleiern, umnebeln. Der Nahblick, der Weitblick, der geklärte und verschleierte Blick - man könnte sagen, die Künstlerin arbeitet wissenschaftlich: Mal ist sie mikroskopisch nah an den Dingen und nimmt dann wieder Abstand für den Weitblick. In einzelne Punkte lösen sich in den erwähnten Portraits die Gesichter auf. Das "Gesicht" sozusagen auf den Punkt gebracht. Gesichtetes wird zum unauslöschlich Eingebrannten. Der Ort? Das Gehirn. Die empfindliche Stelle, wo alles zusammenkommt - gesichtet, gespeichert, verortet und wieder abrufbar ist. Was geht vor in unseren Köpfen? Ganze Welten im Gehirn.

Eines der Bilder (14) erscheint so auch wie eine Segmentierung der grauen Substanz in farbige Zonen. Ein bunt gestricktes Bild, aus Gebieten, Feldern - man könnte an farbig markierte Energiezonen denken - wie eine ausgefaltete Karte: der Topographie der Hirnaktivität? Es passiert dort jedenfalls sehr viel: man bewegt sich in einer bunten Stricklandschaft, flimmernd, lebendig, Neuronen fangen an zu feuern, ein Reiz taucht auf, eine Farbe, die woanders bezogen ist, sich wieder dorthin verlagert. Blicksprünge!

So kommt man von dem Wollgewebe zur vernetzten Struktur einer Hirnaktivität. Eine Landschaft, die längst bis in jeden Winkel erforscht und betreten wurde. Eine abstrahierte Landschaft, die einen scheinbaren Überblick gibt über die Gebiete, die aktiviert sind; wo die Aufmerksamkeit ruht. Mit ihrer eigenwillig entwickelten und einzigartigen Form der Malerei berührt Elke Graalfs einen offenen Nerv unserer Zeit. Sie weiss:  wahrnehmungsgewissheiten entziehen sich. Die Künstlerin, wie es seit jeher Aufgabe der Künstler ist, stellt eine andere Sicht vor, zeigt neue Welten, erinnert daran, dass es nicht nur die eine - vor allem unversehrte - gibt.
In diesem sensiblen gestrickten Areal weiß man: eine leichte Läsion, eine Störung, ein Riss, irgendwo im Gewebe, kann zu einer Veränderung der Wahrnehmung führen.

Elke Graalfs spielt so fremde Weltsichten durch, erlebte, nachempfundene; sie provoziert auf unterschiedlichen Ebenen Kurzschlüsse, die Ver- und Enthülltes, Abstraktes und Stoffliches, Temporäres und Zeitenthobenes aufblitzen lassen und den Betrachter geradezu dazu einladen, sich in eigenen Gedankensprüngen zu verstricken...

Ich wünsche Ihnen viel Spass dabei!
Lydia Fortmeyer
Oldenburg im März 2001

Vita

  • 1966 in Wittmund geboren
  • 1992-95 Mitglied der Ateliergemeinschaft "Weitz"
  • Okt. 1994 - März 1997 Studium bei Prof. Rolf Thiele
  • bis Juli 1999 Studium bei Prof. Karin Kneffel
  • Okt. 1999 - Jan. 2000 Studium bei Gastprof. Katharina Grosse
  • Jan. 2000 Diplomabschluss
  • bis Febr. 2001 Meisterschülerin bei Prof. Karin Kneffel